Kurz vor der Weihnachtspause hat Bundesgesundheitsminister Spahn noch (s)eine Agenda von Maßnahmen für den Bereich der Notfallversorgung für 2019 angekündigt. Die Umsetzung würde zu erheblichen Einschränkungen für Notfallpatienten führen. Für unsere Region würde eine Umsetzung dieser Pläne – insbesondere bei weiterem Festhalten an den Zentralklinikplänen – die Qualität der Notfallversorgung in den Mittelzentren klar verschlechtern. Auch wenn es sich bislang eine politische Absichtserklärung handelt, deren Umsetzung sogar noch Änderungen am Grundgesetz erfordern würde : Spahns Agenda deckt sich mit Empfehlungen, die auch gesundheitspolitische Expertengremien in jüngster Zeit so oder ähnlich gegeben haben. Es handelt sich also leider nicht um einen der „Spahnschen Papiertiger“. Fazit :Er will den Zugang zu den Notfalldiensten und die Inanspruchnahme für alle erschweren – dieses Sparprogramm stellt er als Qualitätssicherung der Notfallversorgung und Schutz für die „wirklich Betroffenen“ vor.
1. Diagnose
.„Notaufnahmen sind zu häufig völlig überfüllt. Und unter den Patienten dort sind viele, denen woanders schneller und besser geholfen werden könnte. Oftmals ließe sich die Behandlung eines weniger akuten Falls am folgenden Wochentag ambulant klären oder der Notdienst der niedergelassenen Ärzte könnte weiterhelfen. Die Folge: Menschen, die im Notfall auf die Hilfe einer Notfallambulanz angewiesen sind, warten dort viel zu lange. Und der Unmut der Wartenden wächst. Das wollen wir ändern“(BMG, Ankündigung des Ministers, 18.12.2018).
Anamnese und Diagnose fallen hier unmittelbar in eins. Bereits in seiner Ausgangsbeschreibung bewertet Spahn den Sachverhalt, den fast jeder Patient kennt und der mittlerweile eher die Regel als die Ausnahme darstellt : die überfüllte Notaufnahme. Indem er diesen Zustand als unnötig charakterisiert, unterstellt Spahn bereits eine ganze Menge :
Erstens: begrenzte (oder womöglich sogar unzureichende) Kapazitäten für eine Versorgung der Notfallpatienten sind hier nicht das Problem — es ist nicht beabsichtigt, daran etwas zu verändern.
Zweitens: Es handelt sich vielmehr um ein organisatorisches , ein Steuerungsproblem. Es gibt zuviele Patienten in der Notaufnahme, die dort falsch sind, weil sie die dort vorgehaltenen Leistungen gar nicht benötigen. Damit binden sie unnötig Kapazitäten. So wird diese unangemessene Inanspruchnahme der Notfallversorgung zum Grund dafür erklärt, daß wirklich kritische Fälle nicht in der gebührenden Zeit und Qualität behandelt werden können, ja, daß es überhaupt zu erheblichen Engpässen in der bekannten Form kommt.
a) Die erlebten langen Wartezeiten für ernste Notfälle gibt es – aber nicht sicher nicht deshalb, weil den Patienten von anderen, unnötigerweise Behandelten Zeit und Behandlungskapazitäten „weggenommen“ werden. Schließlich ist es das Recht aller Patienten, sich selbst um eine medizinische Versorgung zu kümmern, die ihnen angemessen erscheint – das schließt auch ein, selbst zu entscheiden, wann man sich in einer „Notlage“ sieht. So richtig es ist, daß es hier auch zu gewollten oder (mangels besseren Wissens) zu ungewollten Fehleinschätzungen kommt, in deren Folge Patienten in den Notaufnahmen erscheinen, die dort nicht hingehören : Daß in einem Umfeld von Haus- und Fachärztemangel, Pflegenotstand, Wegbrechen wohnortnaher stationärer Versorgung Patienten diejenigen Kanäle nutzen , die aus ihrer Sicht schnelle Hilfe versprechen, ist nicht verwunderlich. Und auch der Umstand, daß eine Selbsteinschätzung einer gefühlten Notlage nicht ihren Ausgangspunkt bei den Kostenkalkulationen der „Gesundheitskassen“ nimmt, ist naheliegend. Zumal man weiß, daß man mit seinen Sozialbeiträgen das Gesundheitswesen finanziell trägt.
So plausibel (und selbstverständlich, sollte man denken), es ist, daß dann, wenn sich Patienten hilfesuchend an Mediziner wenden, möglichst genau der tatsächliche individuelle Bedarf geklärt wird und entsprechende Hilfe sichergestellt wird : Bei der „Triagierung“ spielen ganz andere Gesichtspunkte die entscheidende Rolle. Die Spahnsche „Lösung“ besteht darin, grundsätzlich und pauschal für jeden, der die Notfalldienste in Anspruch nimmt, die Eingangshürden zu erhöhen. Mit dem Aufbau einer mehrstufigen „Triage“ (per Telefon bei den Notrufnummer und dann erneut am Tresen in der Aufnahme) werden Zugangskontrollinstanzen geschaffen, die über die Behandlungswege entscheiden. Das schließt ein, daß etliche Patienten an eine allgemeinmedizinische Praxis zurückverwiesen werden. Dieses System – ein Ausschließen der Patienten von Leistungen ! — wird als „Optimierung der Behandlung“ für alle vorgestellt.
2. Geplante Maßnahmen
„1. Zur Verbesserung der Patientensteuerung werden gemeinsame Notfallleitstellen gebildet, die über die Rufnummern 112 und 116 117 erreichbar sind. Beide Rufnummern laufen damit nicht mehr in unterschiedlichen, sondern in gemeinsamen Leitstellen zusammen. In diesen Notfallleitstellen werden Patienten auf der Grundlage einer qualifizierten Ersteinschätzung (Triage) in die richtige Versorgungsebene vermittelt. Dies kann sein der Rettungsdienst, ein integriertes Notfallzentrum oder — während der Sprechstundenzeiten — eine vertragsärztliche Praxis. Damit der Bund die erforderlichen Regelungen zur Organisation der Rettungsleitstellen treffen kann, erfolgt eine Grundgesetzänderung, mit der dem Bund die entsprechende Gesetzgebungskompetenz eingeräumt wird.“
Weitestmöglich soll jeder Zugang von Patienten in der Notfallbehandlung über den gemeinsamen Eingangskanal „Notfallleitstelle“ führen. Zwar hat auch unter der 112 eine Vorklärung stattgefunden, nach der entscheiden wurde, ob der RTW mit Notarzt kam. Unter der 116117 findet ebenfalls eine standardisierte Befragung der Anrufer zur Ersteinschätzung und Klärung der benötigten Hilfe statt. Dennoch reichen Spahn die Ergebnisse dieser Patientenleitung nicht. Zukünftig soll diese Leitung grundsätzlich über eine für alle gemeinsame „qualifizierte Ersteinschätzung“ (Triage) per Telefon erfolgen. Damit, daß im Ergebnis dieser Telefoneinschätzung eine „richtige“ Ebene für den Notfallpatienten bestimmt wird, verlagert sich die Ersteinschätzung weg vom Patienten. Es kann sein, daß sein Notruf als „ernster Notfall“ bestätigt wird, er kann aber auch mit dem Bescheid „bitte zum Hausarzt“ abgewiesen werden. Es kommt auch nicht ohne diese Vorabfilterung ein Arzt auf dem RTW ins Haus. Bei ernsten Beschwerden (die nach Untersuchungen rund 20% der Notfälle ausmachen) ein erhöhtes Risiko, erst einmal bei der 112 zu landen, bei Bagatellen unkritisch, in „Normalfällen“ kann das auch zu einem Spießrutenlaufen führen – wenn es nämlich den Haus oder Facharzt nicht gibt oder er keine Patienten annimmt. Und das ist ja leider die verbreitete Lage.
„ 2. Bestimmte Krankenhäuser richten integrierte Notfallzentren ein, um Patienten direkt an die richtige Stelle zu leiten.
Die Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenhäuser erhalten den Auftrag, künftig integrierte Notfallzentren (INZ) in vom Land im Rahmen der Krankenhausplanung bestimmten Krankenhäusern (Notfallversorgungsplanung) einzurichten und zu betreiben. Hierbei haben Sie die Anforderungen des Gemeinsamen Bundesausschusses gemäß Beschluss vom 19. April 2018 über das Notfallstufensystem in Krankenhäusern zu berücksichtigen. Die INZ sind erste Anlaufstelle für alle gehfähigen Notfallpatienten sowie Patienten, die dem INZ von der Notfallleitstelle zugewiesen wurden und können auch direkt vom Rettungsdienst angesteuert werden. Bestehende Bereitschaftsdienst- und Portalpraxen werden sukzessive vollständig in das INZ überführt”.
Das ist eine zentralstaatliche Verpflichtung an die Länder ‚die Kassenärzte und die Krankenhäuser, die nichts weniger beinhaltet als eine Einschränkung der flächendeckenden wohnortnahen Notfallversorgung — in der Form, wie sie die KV gemäß dem Sicherstellungsauftrag bislang als gesetzliche Sollvorgabe (§137 SGB) innehat.
Spahn will in Zukunft eine Konzentration und Zentralisierung der gesamten Notfallversorgung auf eine reduzierte Anzahl von Klinikstandorten. Die INZ sollen das einzige Eingangstor für solche Notfallpatienten darstellen, die selbst vorstellig werden. Das gilt für alle in der Notfallambulanz aufschlagenden Patienten im Umkreis der als INZ ausgestatteten Klinik. Mit einer Festlegung von Stufen der stationären Notfallversorgung hatte der Gesundheitsminister bereit im April 2018 eine Hierarchie für die zulässige Teilnahme von Kliniken an der Notfallversorgung festgelegt. Nun wird die Einrichtung von INZ nach Maßgabe der Abstufung angekündigt. Damit ist auch das Ende der “Portalpraxen” eingeläutet : INZ gibt es nur an zentralen /größeren Klinikstandorten. Nur dort ist zukünftig die kassenärztliche Bereitschaftsdienstpraxis tatsächlich “integriert”.
Damit erübrigen sich für unsere Region die Träume von leistungsfähigen „Portalpraxen“ in den Städten, falls eine Zentralklinik auf dem Land steht. Ohne die Infrastruktur der Klinik im Hintergrund führt dieses Portal den Notfallpatienten ins Leere — statt Behandlung erwartet ihn eine Weiterleitung ins nächste INZ.
„Vor“ dem INZ gibt es nur noch die zusammengeführten Notrufnummern (also die Telefontriage).
“In den INZ werden eine zentrale Anlaufstelle („Ein-Tresen-Prinzip“), der ärztliche Bereitschaftsdienst der KV und die zentrale Notaufnahme des Krankenhauses integriert. Durch die zentrale Anlaufstelle im INZ erfolgt entweder die Überprüfung der 1. Triage der Notfallleitstelle, oder eine erstmalige Triagierung mit Zuweisung des Patienten in die richtige Versorgungsebene.( .. ) Nach der Triagierung durch die zentrale Anlaufstelle erfolgt dann abhängig vom Behandlungsbedarf entweder eine weitergehende Untersuchung oder Behandlung im Krankenhaus, ggf. mit stationärer Aufnahme oder der Verweis an eine Vertragsarztpraxis.”
Die Rede von einer „weitergehende Behandlung“ ist an dieser Stelle euphemistisch: Eine Untersuchung hat bisher noch gar nicht stattgefunden. Mittels Telefonabfrage bzw. Vorabcheck am Tresen ging es ja bislang nur darum, den Patienten zu lenken. Inwieweit die eigentlichen „Versorgungsebenen“ hinreichen, davon ist hier keine Rede. Es ist absehbar, daß in der Fläche eine derartige „Bündelung“ dazu führt, daß die verbliebenen Notaufnahmen an den INZ hoffnungslos überlaufen sein werden. Ebenso absehbar ist es,daß mit dieser Regelung überall dort, wo weitere Wege zum INZ definiert werden, besonders hilfsbedürftige, ältere und nicht mobile Menschen abgehängt werden. Das „Abhängen“ hat hier allerdings Methode.
” Steuerung des Patientenzutritts in stationäre Notfalleinrichtungen durch geeignete Instrumente. Soweit möglich sollen Patienten motiviert werden, im Notfall nur solche Krankenhäuser aufzusuchen, an denen INZ eingerichtet sind, da nicht an allen Krankenhäusern INZ eingerichtet werden können und sollen ..”
Spahn will die Kassen (Landesverbände) zum direkten Vertragspartner der gemeinsam als Betreiber agierenden KVen und Krankenhausgesellschaften in puncto Vergütung machen. Damit bekämen die Kassen mehr Einfluß auf die Steuerung und Finanzierung der Notfallversorgung. Die Finanzierung der INZ soll über Grund- und Fallpauschalen erfolgen, wobei die Kassen sich refinanzieren sollen über Verminderungen von Klinikbudgets und Gesamtvergütungspauschalen der KVen.
“Zur Vergütung der künftigen Notfallversorgung in den INZ schließen die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und die Kassenärztlichen Vereinigungen mit der Landeskrankenhausgesellschaft oder mit den Vereinigungen der Krankenhausträger im Land gemeinsam Verträge…”
3. Rettungsdienst künftig eigenständiger medizinischer Leistungsbereich
Mit der vorgesehenen Aufnahme der Rettungsdienste (RD) als eigenständigem medizinischen Leistungsbereich im Sozialgesetzbuch plant Spahn auch eine stärkere Einflußnahme der Kassen auf die Steuerung und Finanzierung der Rettungsdienste. Lediglich die Verantwortlichkeit für die Bereitstellung der RD-Infrastruktur soll bei den Ländern verbleiben, für die Finanzierung der Leistungen wären ausschließlich die Kassen verantwortlich.
“Die Verknüpfung der Kostenübernahme für einen Rettungsdiensteinsatz mit einem Transport ins Krankenhaus entfällt, um nicht notwendige Krankenhauseinweisungen zu vermeiden… Die Krankenkassen erhalten auf Länderebene erweiterte Mitwirkungs- und Verhandlungsmöglichkeiten bei wesentlichen Fragen der Ausgestaltung des Rettungsdienstes (Planung, Festsetzung der Höhe von Benutzungsgebühren usw.)”.
(alle Zitate aus : Bundesministerium für Gesundheit – Ankündigung des Ministers (18.12.2018)