Aus aktuellem Anlass veröffentlichen wir anbei einen Leserbrief, in dem der ursprünglich aus Emden stammende Gesundheitsökonom und Medizinethiker Professor Dr. Karl-Heinz Wehkamp, Bremen, deutlich vor einer Wiederaufnahme der Zentralklinikpläne warnt. Er nimmt Stellung gegen die überzogenen und völlig ungerechtfertigten Erwartungen und Vorstellungen, mit denen Politik und Trägergesellschaft die Bürger hierzulande seit Monaten davon zu überzeugen versuchen, daß das Schließen der drei Krankenhäuser für die Sicherstellung der stationären Gesundheitsversorgung „alternativlos“ sei. Professor Wehkamp ist bekannt als langjähriges Vorstandsmitglied der Akademie für Ethik in der Medizin, Göttingen und Professor am Studiengang Gesundheit / Public Health der Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Hamburg. Er hat selbst lange Jahre als Mediziner praktiziert und ist Gründungsdirektor des Zentrums für Gesundheitsethik an der Evangelischen Akademie Loccum, Hannover.
Ende 2017 war er Mitautor der Studie „Medizin zwischen Patientenwohl und Ökonomisierung“. Zu dieser Studie haben wir weitere Informationen in unseren Leseempfehlungen hinterlegt.
Hier der aktuelle Leserbrief ungekürzt :
Anlässlich unseres 50-jährigen Abiturs in Emden las ich eher zufällig die Emder Zeitung zum Thema Großklinikum in Georgsheil . Da ich seit vierzig Jahren in Deutschland mit Kliniken zusammenarbeite, als Arzt, als Wissenschaftler und seit 1996 als Berater für Medizinethik und Ökonomie, war ich selbstverständlich an der Thematik interessiert. Ehrlich gesagt war ich erschrocken über das Projekt Georgsheil, weil ich davon überzeugt bin, daß die Standortwahl die von allen ja angestrebte bestmögliche medizinische Versorgung nicht fördern wird. Auf den ersten Blick mag es wirtschaftliche Vorteile bieten, weil Medizin immer anspruchsvoller und teurer wird, aber diese Vorteile können schnell wieder verloren gehen.
Zur guten medizinischen Versorgung brauchen Sie neben Pflege- und Therapiefachkräften ausreichend gut qualifizierte Ärztinnen und Ärzte. Dazu muß der Standort attraktiv sein. Schon seit Längerem finden Krankenhäuser in Randregionen so gut wie keine deutsch sprechenden Assistenzärzte mehr. Ohne medizinisches Fachpersonal, das in der Lage ist, die Sprache der Menschen zu verstehen und ihnen verständlich zu antworten, ist gute Medizin nicht möglich. Derzeit leiden viele Kliniken daran, daß Ärzte von „sehr weit her“ nicht nur die hiesige Sprache nicht beherrschen, sondern auch große Schwierigkeiten haben, die medizinischen, administrativen und organisatorischen Prozesse und die kulturellen Besonderheiten zu erlernen, auch weil der wirtschaftliche Druck auf die Kliniken dazu führt, daß die Aus- und Weiterbildung leidet. Folgen sind Risiken für die Patientensicherheit, starke Verzögerungen im Behandlungsablauf, Belastungen der Zusammenarbeit zwischen des Abteilungen und mit der Pflege.
Auf eine freie Assistenzarztstelle bewerben sich derzeit weit über einhundert Ärzte per Internet aus der weiten Welt, darunter oft kein einziger, der aus der Region stammt und – was ganz wichtig ist – nach Ende seiner Ausbildung zum Facharzt in der Region bleibt. Für die Pflege und auch für gut ausgebildetes Personal im Krankenhausmanagement ist es ebenfalls nicht mehr leicht, Stellen mit geeigneten Personen zu besetzen. Ein großer Teil dieser Personen wird pendeln, Führungskräfte werden „einfliegen“ und wieder „ausfliegen“. Kontinuität wird sich auf diese Weise nicht herstellen lassen.
Ich fürchte also, daß der jetzt schon gegebene Standortnachteil in den ostfriesischen Städten durch ein Krankenhaus auf dem flachen Land noch verstärkt wird. Unwahrscheinlich, daß sich in Georgsheil das Stammpersonal dauerhaft niederlassen wird. Für die Angehörigen der Patienten braucht es gute Verkehrsanbindungen und ausreichend Parkplätze. Zu Fuß wird man das Krankenhaus in der Regel nicht erreichen können.
In vielen Regionen Deutschlands haben sich Krankenhäuser in unterschiedlichen Standorten unter einer Unternehmensstruktur zusammengeschlossen. Entfernungen von bis zu 50 Kilometern zwischen den Standorten sind nicht unüblich. Für komplexe medizinische Prozeduren kommen die Behandlungsteams zu den Patienten, nicht umgekehrt. Warum nicht ein Zentralklinikum Ostfriesland gründen, von Kommunen und Landkreisen , mit einem Zentralstandort für Management und Verwaltung und verschiedenen medizinischen Schwerpunkten an den jeweiligen Standorten. Auch Praxen zur Versorgung der ländlichen Bevölkerung können einbezogen werden. Beispiele dazu finden sich u.a. in Bayern, wo Einrichtungen dieser Art sogar Jahr für Jahr „schwarze Zahlen“ schreiben.