In den vergangenen Tagen rauschte ein wahre Welle an Erfolgsmeldungen unseres Klinikmanagements durch die Presse. Die Eröffnung der ersten Notfalltriagepraxis in Norden wurde als Beitrag zur Sicherstellung der Versorgung in Norden und auch als erster Schritt zur Sicherstellung der “künftigen” Notfallversorgung angekündigt. Wir erlauben uns einen Faktencheck.
„Notfalltriagepraxen“ in den Klinikgebäuden in Norden, Aurich, Emden : Wird das 24*7‑Versprechen zur Notfallbehandlung eingelöst?

Notfallkonzept der Trägergesellschaft 2019
In der Fragestellung des zweiten Emder Bürgerentscheids im Mai 2019 wurde den Bürgern bekanntlich für den Fall eines „JA“ zur Schließung des Emder Klinikums eine Rund-um-die-Uhr-Notfallversorgung vor Ort in Emden versprochen. Diese politische Zusage sollte ebenso für die beiden anderen derzeitigen Klinikstandorte Aurich und Norden gelten. Wie die Notfallversorgung zukünftig aussehen sollte, stellte die Trägergesellschaft den politischen Gremien im April 2019 in einem „Notfallkonzept“ vor. Darin wurde zu einen beschrieben, wie eine 24*7‑stündige Notfallversorgung während des Übergangszeitraum bis zur Fertigstellung der Zentralklinik geplant war – und auch, wie sie im Anschluß, also nach der Schließung der 3 Kliniken aussehen sollte.
Das Notfallkonzept
Phase 1 – bis zur Zentralklinik : Ab 2020 sollte die bestehende (24*7) Notfallversorgung an den Zentralen Notaufnahmen der Kliniken ebenso weitergeführt werden wie die in den drei Städten bestehenden kassenärztlichen Bereitschaftsdienstpraxen, die räumlich direkt an den Kliniken angesiedelt sind. (Mo-Fr 20–21h, Sa, So und Feiertags 9–13 und 18–20 h) . Hinzukommen sollte ein Pilotprojekt zur Notfallversorgung an den Standorten, die sogenannten „Notfalltriagepraxen“.
In diesem „Pilotprojekt“ wollten Klinik-Trägergesellschaft und Kassenärztlichen Vereinigung an den drei Krankenhäusern einen gemeinsamen „Tresen“ für Notfallpatienten aufbauen, an dem eine Vorbewertung der Schwere und des Behandlungsbedarfs der Patienten (Notfall-Triage) stattfindet. Innerhalb der Notaufnahmen der Kliniken gibt es bereits jetzt eine Klassifizierung der Patienten in fünf Dringlichkeitsstufen für die Behandlung. Die Patienten, deren Beschwerden dabei als weniger kritisch bewertet wurden und deren Behandlungsbedarf auch im Rahmen einer fach- oder allgemeinmedizinischen Arztpraxis abgedeckt werden kann, wollte man aber möglichst nicht in den Notaufnahmen haben, sondern sie in Richtung Kassenärzte abgeben. Als Zweck der neuen Einrichtung wurde die Sicherstellung einer bessere Zuweisung von Patienten auf die angemessenen Behandlungswege benannt – aus Sicht der Krankenhäuser sollen damit die Notaufnahmen personell und wirtschaftlich entlastet werden *
Phase 2 – Nach Schließung der Krankenhäuser
Im 2019 vorgestellten „Notfallkonzept“ wie auch in der öffentliche Darstellung der in Emden, Aurich und Norden zukünftig verbleibenden „Anlaufstellen“ wurde den Notfalltriagepraxen – die ja im Wesentlichen der effektiveren Patientensteuerung und nicht primär der Behandlung an Ort und Stelle dienen sollen, Leistungen zugeschrieben, die sie realistischerweise niemals erfüllen können und auch nicht sollen. Im Rahmen des Projekts „Nachnutzung der Klinikgebäude“wurden sie kürzlich (Oktober 2021) sogar als elementarer Baustein von „Gesundheitscampussen“ erträumt, die NACH Schließung der Kliniken in den Städten für eine gesicherte 24*7‑Notfallversorgung sorgen sollen. Wir empfehlen stattdessen , dem gern und oft geäußerten Appell unseres Klinikmanagers zu folgen : „Wir wollen doch nicht spekulieren“ ! (Und erinnern nebenbei an die Warnungen des Projektleiters „Nachnutzung“ : Erst einmal die Bausubstanz prüfen — nicht das wir da noch einen showstopper finden!)
Der Stand der Umsetzung und die geplante Aufgabe:
Das Projekt ist nicht im beabsichtigten Tempo zustande gekommen, eine erste Notfalltriagepraxis wird aber nun, im November 2021 in Norden eröffnet. Unter der Überschrift „Norden- neuer Arzt soll falsche Notfälle auffangen“ berichtet die OZ über den Start in Norden: An zwei Arbeitstagen in der Woche, insgesamt 8 Stunden, soll – auf Budget der Klinik — ein aus dem Ruhestand reaktivierter Kassenarzt solche Patienten begutachten, deren Behandlungsschwere nach einer Ersteinschätzung durch die Notaufnahme der UEK in den beiden Stufen geringer bzw. geringster Dringlichkeit gesehen wird. (Stufen 4 und 5 von insgesamt 5). Ausdrücklich wird betont, daß dieser Arzt nicht die Aufgabe hat, Behandlungen der Patienten durchzuführen. Er soll und wird nicht als zusätzlicher Hausarzt in Norden aktiv. Primär geht es um Diagnostik, es „könne (!) auch (!) vorkommen, daß er Patienten ohne Behandlung wieder wegschickt“. Angesichts seiner definierten Aufgabe wird exakt das der Normalfall seiner Tätigkeit sein : Das Weiterleiten an Praxen der niedergelassenen Fach- und Allgemeinärzte. Hilfreich ist ein solcher „Service“, aber nicht für diejenigen, die gekommen sind, weil sie Hilfe in einer vermeintlichen Notfallsituation gesucht haben. Er hilft allein, trotz personeller Unterbesetzung die Notaufnahmen betreiben zu können. Weder für die Patienten noch für die Kräfte in den Notaufnahmen ist es eine Verbesserung , wenn zukünftig eine geschätzten Quote von bis zu 25% Notfallpatienten ausgesiebt wird.
In einer Stellenanzeige suchte die TG aktuell Mediziner für die drei Notfalltriagepraxen : „Wir bauen in Zusammenarbeit mit der kassenärztlichen Vereinigung Notfalltriagepraxen auf, die an der Schnittstelle von ambulantem und stationärem Sektor eine Erstversorgung und Zuweisung von Patienten auf die Versorgungsbereiche schaffen sollen. Die Notfalltriagepraxen werden an den Notaufnahmen aufgebaut und medizinisch-inhaltlich durch diese begleitet und gestützt, so dass erforderliche Eskalationen der Behandlungsintensität und Zugriff auf Ressourcen des Krankenhauses jederzeit möglich sind. (…) Die Notfalltriagepraxen werden zunächst tagsüber mit etwa 17 Stunden/Woche besetzt…“
Diese Aufgabenbeschreibung bestätigt , daß für das Spektrum einer Notfallversorgung neben einer ambulanten Erstversorgung der Zugriff auf Klinikressourcen im Hintergrund zwingend erforderlich sind. Bei allen Konzepten, die in den politischen Diskussionen zur Reform der Notfallversorgung mit einer besseren Verzahnungen zwischen Kliniken und Kassenärzten („sektorenübergreifende Notfallversorgung“ in den letzten Jahren vorgestellt wurden, war dieser Umstand unstrittig.
Nur solange es um reine Diagnose und anschliessend tatsächliche Erstversorgung im Umfang der bisherigen KV-Bereitschaftsdienste geht ( oder ggf. ein Rückverweisen an Haus- oder Facharzt) , könnte eine solche „Notfallpraxis“ auch ohne die Kliniken „dahinter“ betrieben werden. Damit wird aber gerade nicht das gesamte Spektrum von Notfällen abdeckt. Besteht nicht die Möglichkeit einer direkten Übergabe des Notfallpatienten an ein Krankenhaus, mit entsprechender Ausstattung, so ist das Vorhaben eine reine Verdopplung dessen, was die KV ‑Bereitschaftdienstpraxen ohnehin bereits seit Jahren tun.
Allerdings : während diese Praxen derzeit noch mit gutem Grund direkt am Krankenhaus stehen, malt man für die Zukunft ein Szenario aus, in dem es auch ohne geht. Die Aussagen im Notfallkonzept sind hier auffällig unklar : Patienten, die ins Krankenhaus müssen, werden von den Tresen in Aurich, Norden und Emden immer nach Uthwerdum transferiert. Die, die am Tresen als Kandidaten für eine „wahrscheinlich ambulante Versorgung“ ausgemacht werden, kommen in die „Rund um die Uhr-Notfallambulanz“ – was suggeriert, daß hinter dem Tresen fortlaufend eine echte Behandlung passiert. Zu diesem entscheidenden Punkt hieß es jedoch : Es kann aber auch sein, daß diese Behandlung in der KV-Bereitschaftdienstpraxis erfolgt. Die hat bekanntlich nicht 7*24 geöffnet und wird auch nicht abseits der Zentralklinik betrieben werde.
Eine solche „Notfalltriagepraxis“ ist kein realistisch umsetzbares Modell. Es stellt sofort die Frage nach der Akzeptanz und der Inanspruchnahme. Denn : Wie oft werden subjektiv empfundene ernste Notfälle wohl den Umweg über einen reinen Tresen in Norden machen, wenn sie zumindest damit rechnen, zur Behandlung ins Krankenhaus zu müssen ? Und wie wie lange wird sich der Klinikträger drei geplant defizitäre Vor-Ort-Dependancen mit (mehr oder weniger) Diagnosekapazitäten einer Notaufnahme leisten wollen, wenn die dauerhaft nicht wie eine Notaufnahme angenommen wird? Beispiele für die baldige Rückschrumpfung solcher „Tresen“ in reine Arztpraxen mit den normalen Sprechzeiten gibt es rund um andere Klinikschließungen / Zusammenlegungen reichlich. Selbst bei der angekündigten Absichtserklärung der ZK und ihres kommunalen Trägers, dafür dauerhaft Defizite tragen zu wollen : ob die KV, die den von ihr zu tragenden Anteil an Ärztepersonal von drei Bereitschaftsdienstpraxen auf vier Notfalltriagepraxen aufstocken müßte, das auch dauerhaft zu betreiben bereit wären, ist ebenfalls fraglich. Bereits heute wird offen angezweifelt, daß die MVZ, die ja ebenfalls an den alten Klinikstandorten bleiben sollen, zukünftig noch für die Ärzten attraktiv sind. Sofern sie nämlich auf Belegbetten und Klinikinfrastruktur angewiesen sind, gibt es für sie starke Motive, sich zukünftig direkt in Kliniknähe anzusiedeln.
Fazit
Es ist daher kein Zufall, daß das Projekt „Notfalltriagepraxen“ erst einmal als „Pilotprojekt“ angegangen wird. Dieses Vorhaben ist – was eine tatsächliche Patientenversorgung angeht — eine Totgeburt. Trotzdem will man es (über die Erhebung von Zahlen zur Inanspruchnahme, zur den „gefilterten“ und an den ambulanten Bereich zurückverwiesenen Notfallpatienten und zu den laufenden Kosten) „pilotieren“- um es am Ende , mit Auswertungsdaten begleitet, einer Bruchlandung zuzuführen? Das kann man ehrlicherweise auch gleich lassen. Aber das Schüren von unbegründeten Erwartungen ist ja integraler Bestandteil des Krankenhausschliessens, während in den Häuser der Abbau vorangetrieben wird.
Derweil : Abbau der bestehenden Notaufnahmen geht seinen Gang
Vor lauter Euphorie gerät die harte Realität in den Notaufnahmen ganz aus dem Blick. In der realen Klinikwelt wird auch an diesem Fachbereich im Zuge der Vorbereitung der ZK gespart, über Harmonisierung und Digitalisierung der Notaufnahmen wird die Arbeit der dort arbeitenden Ärzte und Pflegekräfte immer weiter verdichtet. Stellennachbesetzungen nach Weggang oder Ausscheiden von Mitarbeitern unterbleiben bzw werden schleppend angegangen. (mehr Digitalisierung, Robotereinsatz.. sind die Schlagworte für die Zukunft)
Mitarbeiter des Emder Krankenhauses haben über eine hohe Arbeitsbelastung geklagt und von massenhaften Überstunden und Vertretungsschichten berichtet. Als Grund nannten sie hohes Patientenaufkommen, Ausweitung des Aufgabenspektrums (Bsp Kinder mitzuversorgen ohne pädiatrische Kenntnisse) , zu wenig Personal. Die Besetzung offener Stellen verlaufe schleppend, allein auf der Inneren fehlen 3 Assistenzarztstellen.
Es gibt Probleme, Patienten mit bestimmten Erkrankungen an die für sie mittlerweile einzig einschlägig verantwortliche) Innere in Aurich zu verlegen (Beispiel Kardio-Patienten), Intensiv Aurich häufig abgemeldet, in der Folge „Stau“ in der Emder Notaufnahme und seinerseits Abmeldung von der Notfallbehandlung. Es wurde die begründete Befürchtung geäußert, dass bei Verschlechterungen der äußeren Lage (zB. vierte Welle, mehr Notfallpatienten) ein „Kippunkt“ erreicht werden könne, da keine Verbesserungen erkennbar in Sicht seien.
* Das hat nicht nur mit dem bekannten Phänomen zu tun, daß die Inanspruchnahme der Notaufnahmen der Kliniken durch die Patienten enorm zugenommen hat und darunter auch vermehrt Fälle sind, die keine klinische Behandlung benötigen. Für die Krankenhäuser ist die Behandlung von Notfallpatienten durch die Vergütungsregeln nicht kostendeckend. Denn Leistungen der Daseinsvorsorge, die sie in den Notaufnahmen erbringen, schaden ihnen wirtschaftlich. Auch im Rahmen des Projekts Zentralklinik wurde von Beginn an die feste Absicht bekundet, von den Defiziten herunterzukommen, die im Rahmen der Notaufnahmen entstehen. Die Reorganisation der klinischen Notfallambulanzen , wie sie derzeit im Vorgriff auf die Zentralklinik betrieben wird, richtet sich – ganz unbhängig von den immer wieder beschworenen Bagatellfällen, Urlaubern oder Menschen ohne Hausarzt in der Notaufnahme – auf die personelle und kostenmäßige „Optimierung“ dieses Bereichs.